Wahnsinn und Klischee
Psychisch kranke Menschen sind im Film beliebt - als Bösewichte. Mit der
Realität der Betroffenen und ihrer Familien hat das oft wenig zu tun
Von Walter Schmidt (www.schmidt-walter.de)
erschienen in DER TAGESSPIEGEL vom 15.06.2015, BRANDENBURG, Seite: 11
Filme mit seelisch Kranken? Sehr wahrscheinlich würden einem
Psychopathen einfallen, die ihre Opfer in Serie vergewaltigen, seelisch foltern
oder grausam töten - oder alles zusammen. Norman Bates in Alfred Hitchcocks
Klassiker Psycho
von 1960, Frank Booth aus David Lynchs Film Blue
Velvet
, und selbstverständlich der intellektuelle Kannibale Hannibal Lecter
aus Schweigen der Lämmer
. Ähnlich naheliegend der Gedanke an den
wahnsinnigen Killer John Doe in Sieben
, der ebenso viele Menschen
hinrichtet, weil sie seiner Ansicht nach ein verdammenswertes Leben führen,
zumindest gemäß der katholischen Kirche.
Thriller mit irren Tätern prägen das gesellschaftliche Bild von psychisch
Kranken entscheidend. Solche Nervenkitzler sollen keine seriöse Information
bieten, vielmehr die Angstlust des Zuschauers bedienen
, sagt Eva-Maria
Fahmüller vom Verband für Film- und Fernsehdramaturgie. Mit ihrer Hilfe breche
das Böse und Unberechenbare
in die scheinbar heile Welt der Zuschauer
ein. Das fesselt die Menschen. Besonders hartnäckig
halte sich im Film
das Stereotyp des gewalttätigen und unberechenbaren psychisch Gestörten
,
sagt Wolfgang Gaebel, ärztlicher Direktor des LVR-Klinikums Düsseldorf und
Vorsitzender des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit, ein Netzwerk von
Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten. Es möchte über die wahre Natur
seelischer Leiden aufklären. Durch das vermittelte Zerrbild bleibt allzu oft
das verständliche Anliegen seelisch Kranker auf der Strecke, psychische Leiden
auch auf der Leinwand möglichst realistisch zu schildern. Doch wer als
Drehbuchautor einen Psycho-Thriller konzipieren soll, nutzt eben lieber bewährte
Täter-Profile: Alle sind gefährlich, alle sind schuldig und im Prinzip
unheilbar
, beschreibt Eva-Maria Fahmüller das Klischee. Ob der kranke Bösewicht
heilbar wäre, spielt schon deshalb keine Rolle, weil die erfolgreiche Therapie
störend für den Grusel wäre. Triller hätten nun mal die Aufgabe, Urängste
von uns allen
wachzukitzeln.
Eher schon taugen seelisch gebrochene TV-Kommissare dazu, psychische Leiden
im Film halbwegs korrekt zu zeigen. Der von Joachim Król verkörperte
Frankfurter Tatort-Ermittler Frank Steier etwa plagt sich mit depressiv gefärbtem
Hang zum Alkohol. Steier ist ein Idealist, der aber durch die Jahre der
Arbeit hindurch zum pragmatischen Zyniker geworden ist. Oft dem Alkohol
zugeneigt, hat er kaum ein Privatleben. Sein Büro ist sein Zuhause, sein Rückzugsort.
So beschreibt ihn die ARD. Auch der Dortmunder Ermittler Peter Faber (Jorg
Hartmann) rettet sich nach einem heftigen Verlusttrauma in Arbeit. Der Tod
von Frau und Kind hat ihn abstürzen lassen
schreibt die ARD auf ihrer
Webseite. Er kann nicht loslassen, klammert sich weiter an Erinnerungen,
privat kennt er keine Zukunft, will keine und bezweifelt, dass es eine jenseits
des ,Jobs’ für ihn gibt.
Die Arbeit als Strohhalm, an die sich seelisch
belastete Kriminalpolizisten klammern, ist längst ebenfalls zum Klischee
geworden.
Aus Sicht von Eva-Maria Fahmüller ergibt sich im Rückblick auf vergangene
Jahrzehnte ein klarer Trend zum problembelasteten Ermittler im Krimi: vom
redlichen Derrick (1974-1998) über den fluchenden, regelverletzenden Horst
Schimanski (ab 1981) bis zum introvertiert- melancholischen und am Ende dementen
Kurt Wallander (2005-2014). Psychische Krisen der Ermittler sollen zunehmend
gesellschaftlich relevante Probleme zuspitzen oder sind sogar die notwendige
Folge sozialer Missstände
, so Fahmüller, sie spiegelten also wider, woran
große Teile der Gesellschaft leiden.
In jüngerer Zeit ringen auch sympathische Charaktere mit ihrer Psyche oder
neurologischen Leiden, etwa wenn Laura Tonke im Kinofilm Hedi Schneider
steckt fest
eine von Panikattacken geplagte Depressive mimt. Manchmal darf
sogar gelacht werden, etwa wenn Dieter Hallervorden in Til Schweigers Honig
im Kopf
einen Demenzkranken verkörpert. Zur psychiatrisch erkrankten
Filmheldin taugt am ehesten die von Alzheimer befallene Alica Howland (Julianne
Moore) in Still Alice
. Trotz oder gerade wegen ihrer Probleme vermögen
solche Figuren die Zuschauer zu rühren.
Ein Stück echter Aufklärung über seelische Leiden gelingt dann, wenn
Filmemacher sorgfältig recherchiert haben. Im sehenswerten Familiendrama Hirngespinster
(2104) spielt Tobias Moretti den schizophrenen Architekten Hans Dallinger, der
sich in seinem häuslichen Arbeitszimmer mit Folien gegen die vermeintlichen Abhör-Attacken
von Spionagesatelliten zu schützen versucht und in seinem Wahn die ganze
Familie in Angst und Schrecken versetzt. Erzählt wird der Film aus der Sicht
seines 22- jährigen Sohnes Simon (Jonas Nay), der wie seine Schwester und seine
Mutter unter den psychotischen Schüben des Vaters zu leiden hat. Der erscheint
zwar bedrohlich, kann aber immer noch sympathisch und liebevoll sein - wie im
richtigen Leben auch. Regisseur Christian Bach wollte nie einen
Krankheitsfilm machen
, auch wenn der Vater eine ganz zentrale Figur
im Film sei. Die Geschichte beruht auf einem wahren Fall. Moretti sollte nicht
nur einen seelisch Kranken verkörpern, sondern auch einen erfolgreichen,
attraktiven und sympathischen Mann, der nach wie vor väterliche Gefühle und
Liebe zeigen kann. Außerdem wollte Bach vermitteln, wie eine Frau es
schafft, mit so jemandem zusammenzubleiben
.
Überhaupt die Angehörigen. Ihr Leid könnte in Filmen öfter gezeigt
werden, und wenn, dann treffender, meint Gudrun Schliebener, Vorsitzende des
Bundesverbandes der Angehörigen psychisch Kranker ( BApK). Es sei toll, wenn
Drehbuchautoren mit Betroffenen und Angehörigen sprechen
, bevor sie Figuren
entwerfen und Dialoge verfassen. Während vielen, wenn auch längst nicht allen
psychisch Kranken inzwischen geholfen werde, stünden die Familien oft noch
hilflos da. Viele müssten sich lange, manche sogar lebenslänglich
um
ihre Kranken kümmern. Das bleibe nicht ohne Folgen für die eigene Gesundheit. Viele
gehen eigentlich kaputt
, sagt Schliebener. Ich kenne keine Familie, die
unbeschadet aus einer psychischen Erkrankung hervorgeht.
Das im Film
realistisch zu zeigen, wäre löblicher, als den x-ten psychopathischen Serienmörder
arglose Menschen quälen oder aufschlitzen zu lassen.
Walter Schmidt